Finnland. Handbuch für Reisende 1906. Die Stadt Wiburg.Geschichtliches.

FINNLAND

HANDBUCH FÜR REISENDE

von

Dr AUGUST RAMSAY.

HERAUSGEBEN VOM FINNLÄNDISCHEN TOURISTENVEREIN.

HELSINGFORS*) 1906.


Wiburg.

S. 83-86:
Geschichtliches. Die Befestigung der schwedischen Herrschaft an der südwestlichen Küste Finnlands und ihre Ausdehnung nach dern Inneren des Landes führte im Osten bald zu Verwicklungen, an denen auch der Freistaat Novgorod beteiligt war. Karelen wurde der Schauplatz des langen Kampfes um die Oberherrschaft in diesen Gegenden, der im 13. Jahrhundert entbrannte und ohne grosse Unterbrechungen bis in die Zeit Gustav Adolf's fortdauerte, als der Sieg endlich von den schwedischen Waffen davongetragen wurde. Den ersten Ansatz zur schwedischen Herrschaft in Karelen bildete der befestigte Platz, der um die Zeit des Feldzuges des schwedischen Heerführers Torkel Knutsson gegen die Russen (1293) auf einer kleinen Insel im innersten Winkel der jetzigen Wiburger Bucht angelegt wurde. Dieser feste Platz wurde das Wiburger Schloss (Vi, auf altschwedisch = Heiligtum). Nicht lange nach der Erbauung des Schlosses entstand in seiner Nahe ein Marktflecken. Im 14. Jahrhundert wird Wiburg als Stadt erwahnt, obschon es die Stadtrechte erst im Jahre 1403 erhielt; aller Wahrscheinlichkeit nach lag es schon damals auf seinem jetzigen Platze südlich vom Schlosse.

- Die Einwohner dieser Stadt sollten bald alle Widerwärtigkeiten des Krieges kennen lernen. Schon 1411 machte die Stadt eine Belagerung durch, die mit Erfolg abgewehrt wurde. Die Bedeutung des Ortes als Zentralpunkt Karelen's machte seine Befestigung mit Mauern notwendig, deren Widerstandsfähigkeit in dem grossen russischen Kriege erprobt wurde. Im Herbste 1495 lagerte sich nämlich eine grosse russische Heeresmacht um die Stadt, die vom Schlosshauptmann Knut Posse verteidigt wurde; die Stadt wurde heftig angegriffen, so dass die geringe Besatzung wenig Aussicht hatte, sich halten zu können. Am St. Andreas-Tage, den 30. Nov., beschlossen die Russen, einen entscheidenden Ansturm zu unternehmen. Sie rückten in drei Abteilungen auf drei verschiedene Punkte der Stadt los. Schon hatten sie die Mauer erklommen, sich eines der Türme bemächtigt und schickten sich an, in die Stadt einzudringen, als sie, von einer plötzlichen Furcht ergriffen, von den Mauern zurückwichen und allmälig die ganze Umgegend der Stadt verliessen. Was die Ursache dieses Rückzuges war, ist unbekannt geblieben. Indessen hat die Tatsache Stoff zu vielen Legenden gegeben. Nach den Angaben der Reimchronik zündeten die Verteidiger innerhalb der Mauer Teer- und Pechtonnen an, deren Bauch und Feuer die Angreifer in Verwirrung brachte. Nach anderen Berichten liess Knut Posse eine Pulvermine explodiren, warauf die Belagerer, die gleichzeitig das St. Andreas-Kreuz am Himmel über der Stadt leuchten sahen, die Flucht ergriffen. Dieser Version haben die Legenden vom Wiburger "Knall" ihren Ursprung zu verdanken.

Im folgenden Jahrhundert wurde Wiburg in den Jahren 1555 und 1550 belagert, ohne jedoch vom Feinde eingenommen zu werden. - Durch den Frieden von Stolbova, 1617, wurde die Ruhe an der östlichen Grenze endlich hergestellt. Zugleich wurde die Grenze weiter nach Osten verlegt, so dass Wiburg nicht mehr der Ort war, der bei jedem Angriff den ersten Stoss auszuhalten hatte.

Die Friedensperiode wurde jedoch im Anfang des folgenden Jahrhunderts wieder unterbrochen. Im nordischen Kriege hatte Wiburg harte Schläge zu erleiden. Schon 1706 hatte die Stadt eine Belagerung durchzumachen, aber erst 1710 wurde sie nach tapferm Widerstand gezwungen, am 14. Juni zu kapituliren. Wiburg wurde danach der Sitz der russischen Verwaltung in den im Frieden von Nystad abgetretenen Teilen von Finnland. Als das alte Finnland im Jahre 1812 wieder mit dem Grossfürstentum vereinigt wurde, wurde Wiburg die Haupstadt des Kreises Wiburg.

Wiburg ist seit seiner Entstehung als Handelstadt von Bedeutung gewesen. Seine Bürger vermittelten den Warenaustausch mit dem ausgedehnten inneren Lande, dessen Produkte, hauptsächlich Teer und später auch Bretter, in Wiburg verschifft wurden. Die Einfuhr vom Auslande her bestand in allerlei Waren, wie Salz, Zeugstoffen, u. s. w. Wiburg stand in lebhaftem Verkehr mit den Hansastädten und in seinem Hafen ankerten Schiffe verschiedener Nationalität. Nach 1710 spielten die Beziehungen zu Russland eine grosse Rolle. Auf diese Weise hat die Stadt eine sehr gemischte Bevölkerung erhalten; namentlich ist in Folge von zahlreichen Einwanderungen das deutsche Element stark vertreten; ja, eine lange Zeit hindurch war die deutsche Sprache in der Stadt so vorherrschend, das sogar die Schulen deutsch waren.

Der älteste Teil der Stadt besteht aus der sog. Festung, um welche im Lauf der Jahrhunderte mehrere Vorstädte gebaut wurden. Indessen sind von den aus früheren Zeiten stammenden Gebäuden nur mehr wenige übrig; denn grosse Feuersbrünste haben wiederholt ansehnliche Stadtteile in Asche gelegt.

Die Einwohnerzahl Wiburg's war unter der schwedischen Herrschaft verhältnissmässig gross, sie dürfte jedoch 2,000 niemals überschritten haben; als unter der russischen Herrschaft der Handel mit Savolaks zurückging, fiel die Einwohnerzahl auf c. 1,400. Im vorigen Jahrhundert ist dagegen Wiburg rasch vorwärts gegangen; sein Handel mit dem Inneren des Landes ist besonders nach der Eröffnung des Saimakanales, 1856, sehr erstarkt. Wiburg wurde und ist, trotz der Konkurrenz anderer Städte, auch jetzt noch der wichtigste Ausfuhr- und Einfuhrplatz für Savolaks und Karelen.

Von diesen Teilen des Landes werden jährlich längs dem Kanal und mit der karelischen Bahn enorme Quantitäten Holz nach Wiburg geschafft, um im äusseren Hafen der Stadt, in Trångsund**), nach dem Auslande verschifft zu werden; die Einfuhr besteht in Salz, Mehl, Kolonialwaren u. s. w. Die Industrie ist in Wiburg durch mechanische Werkstätten, andere Fabriken (Seifen- und Ofenkachelnfabriken, Brennereien, Bierbrauereien u. a.) und Buchdruckereien vertreten. Der Eisenbahnverkehr ist lebhaft und führt der Stadt namentlich im Sommer vom Osten her die Fremden scharenweise zu. In Wiburg zweigt, die Eisenbahn nach Karelen ab. - Die Stadt ist der Sitz eines Hofgerichtes (seit 1839) und des Kreisgouverneurs, sie besitzt mehrere höhere Schulen und eine bedeutende russische Garnison; auch residirt in Wiburg der griechisch-orthodoxe Erzbischof von Finnland. - Seit 1892 besitzt die Stadt eine Wasserleitung. - Die Einwohnerzahl beträgt c. 30,000.


*) Der schwedische Name für Helsinki. **) Trångsund (schwedisch), heisst auf finnisch Uuras, jetzt Vysotsk.

Eine Karte der Stadt Wiburg vom Jahr 1902 (732K).
Bilder aus der heutigen Stadt.

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